RONALD RAUHE


Wir trauen uns in Deutschland immer weniger, Helden zu erzeugen

Als ich  Ronald Rauhe  zum Interview treffe, steht er kurz davor, mit seiner Mannschaft in die erste Bundesliga aufzusteigen. Allerdings nicht im Kanurennsport, wo er über zwei Jahrzehnte so viele Erfolge feiern konnte, sondern im Kanu-Polo, seinem neuen und ebenfalls erfolgreichen Hobby.

Seit der 42-Jährige sich 2021 von seiner aktiven Karriere als Kanute verabschiedet hat, sieht sein Tagesablauf etwas anders aus. „Ich hatte totales Glück mit den Dingen, die ich jetzt anfangen konnte. Vielleicht habe ich auch zu viel angefangen“, lacht Rauhe.

Mittlerweile ist der zweifache Olympiasieger TV-Experte im ZDF, erfolgreicher Speaker, um seine Erfahrungen weiterzugeben, und baut sich derzeit eine weitere Karriere im Bereich Familie und Ernährung auf. Dabei stehen für ihn die Werte des Sports stets ganz weit vorne. „Ich habe für Fairness und soziales Miteinander immer eingestanden und möchte diese Werte auch weitervermitteln.

Erfolgreich sein bedeutet auch, Verpflichtungen zu haben.

Du wirst gehört und das möchte ich nutzen, um anderen Menschen zu helfen.“ Dabei war der Schritt aus dem Leistungssport in das neue Leben schon eine kleine Herausforderung. „Während meiner Karriere hatte ich eigentlich gar keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, was danach kommen würde. Doch als es dann so weit war, hat mich das schon etwas gestresst. Zu wissen, da kommt etwas, was ich nicht kenne. 25 Jahre hatte ich immer alles selbst gesteuert. Meine Zielvorstellungen waren immer sehr klar und ich konnte den Weg dahin lenken. Doch plötzlich war es etwas, was ich nicht zu hundert Prozent steuern konnte. Davor hatte ich schon sehr viel Respekt.“ Kaum vorstellbar, dass diesen Mann etwas verunsichern kann.

In 25 Jahren Spitzensport holte Rauhe neben zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen auch 16-mal WM-Gold und wurde 15-mal Europameister. Wie kann man so lange so konstant so viele Erfolge einfahren?

„In meinem Fall war es auch der Ausgleich, der es möglich gemacht hat, über so lange Zeit erfolgreich zu sein.

Diese Balance zwischen extremer Anspannung bei meiner Leistungsvorstellung und dem Runterfahren, um mir Ruhe zu gönnen, das konnte ich immer sehr gut. Zudem bin ich enorm selbstkritisch und vor allem sehr selbstreflektiert. Das schreibe ich auch meinem Selbstbewusstsein zu. Ich habe immer darauf geachtet, dass ich mir diese Pausen leisten muss und auch darf. Das ist das Problem bei vielen jungen Athleten. Die haben gleich ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal eine Pause machen.“ Rauhe weiß, um die Probleme, die der Leistungssport mit sich bringt. „In Deutschland Leistungssport zu betreiben, ist kein einfacher und erst recht kein sicherer Weg. Man muss viele Opfer bringen, und am Ende seiner Karriere weiß man oft nicht, wie es weitergeht. Eine hohe Risikobereitschaft gehört ebenfalls dazu. Es gibt immer weniger Menschen, die bereit sind, diesen Weg zu gehen. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem.

Der Sport ist im Laufe der Jahre immer weiter in den Hintergrund gerückt und das führt dazu, dass immer weniger Helden im Sport erzeugt werden. Aber genau das sind die Leute, die wir brauchen, um den jungen Menschen zu zeigen, dass dieser Weg auch erstrebenswert ist.“ Denn da beginnt für Ronald Rauhe auch der Erfolg.

„Es ist für mich nicht nur die Medaille, die ich mit Erfolg verbinde, sondern auch der Weg dorthin.

Die vielen kleinen Etappen, die man sich selbst steckt und die man auf dem Weg zur Medaille oder zu seinem Ziel dann auch erreicht und überwunden hat.“ Dazu zählen für Rauhe auch Rückschläge und Niederlagen. „Ich habe aus allen Schritten, die ich gemacht habe, etwas mitgenommen. Dabei waren die Niederlagen manchmal noch wichtiger. Ich reflektiere dann noch intensiver, um für mich neue Lösungsansätze zu finden. Wenn man es dann schafft, aus dem Tief wieder rauszukommen, ist man automatisch ein Level höher. Die Erfolge waren immer schön und ich möchte sie auch hervorheben. Aber es waren auch die Niederlagen, die mich geprägt und dahin gebracht haben, wo ich jetzt bin.“

Wichtig auf dem Weg zu Erfolgen ist auch das Umfeld. Die Familie und die Freunde. Ronald Rauhe hat dieses Umfeld, das ihm sowohl den Rücken gestärkt als auch mal kritische Worte gefunden hat. Das half ihm auch dabei, immer auf dem Boden zu bleiben. Zudem hat er mit seiner Frau jemanden an seiner Seite, die seine Arbeit und seine Einstellung versteht. Fanny Fischer ist selbst Olympiasiegerin im Kanu. Mit ihr hat er zwei Kinder und weiß, was er ihr zu verdanken hat. „Das sportliche Verständnis meiner Frau war die Grundvoraussetzung für alles. Sie hat großen Anteil an meinen Erfolgen. Ich konnte mich nur konzentrieren, wenn ich wusste, zu Hause ist alles ok. Sie hat viel Energie gelassen, um mir das zu geben. Deshalb ist mir die jetzige Zeit, in der ich viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringen kann, so wichtig.“

Die Familie und die Natur haben dem Berliner auch immer die Kraft und Ruhe gegeben, die er brauchte, um runterzukommen. Zudem ist Rauhe ein Hobbyhandwerker, was bei ihm allerdings auch manchmal ausarten kann. „Ich bin handwerklich total interessiert und baue gerne mit Holz. Das Haus, in dem wir leben, habe ich alleine gebaut. Dann bin ich so fokussiert und vergesse alles andere herum und vertiefe mich in die Sache. Da kann es auch vorkommen, dass ich 12 Stunden am Stück an etwas rumwerkele, bis es fertig ist. Ich gebe zu, dass ich dann auch ziemlich ehrgeizig bin.“

Ehrgeiz und ein starker Wille – übrigens auch Eigenschaften, die man für den Erfolg mitbringen sollte.

„Ich habe immer wieder die Challenge mit mir selbst gesucht. Es hat mich angespornt, wenn die Leute gesagt haben ‚Ach, der ist schon so alt, der kann maximal nur noch seine Leistung halten.‘ Für mich war es dann eine Challenge herauszufinden, ob ich mit Anfang 40 noch mal besser sein kann als je zuvor. Dabei ging es dann auch um das Versprechen, was ich mir selbst gegeben hatte. Ich werde der beste Ronald Rauhe, der ich je sein kann. Und genau das hat mich immer vorangetrieben.“ Ronald Rauhe hat diese Challenge gewonnen.

2021 holte er bei den Olympischen Spielen in Tokio noch einmal Gold. Danach beendet er seine Karriere. Mit vielen Medaillen, aber auch mit Auszeichnungen außerhalb des Sports. 2005 erhielt er den Bambi, 2021 den Preis für Vorbilder im Sport.

Ronald Rauhe hat sich für diese Erfolge immer wieder selbst herausgefordert und hat dafür seine Komfortzone auch immer wieder verlassen, um sein nächstes Ziel und seinen nächsten Erfolg zu erreichen. Übrigens hat Ronald Rauhe an dem Wochenende des Interviews auch den Aufstieg in die 1. Bundesliga im Kanupolo geschafft.

Erfolg ist eben nicht nur die Medaille, sondern auch der Weg dahin.

©Bilder: Florian Schwarzbach