SAHRA WAGENKNECHT


Die Leute merken, ob jemand authentisch ist .

Sie ist eine der bekanntesten Politikerinnen Deutschlands: Sahra Wagenknecht (53). Im Interview erzählt die Linken-Ikone über ihren Alltag als Bundestagsabgeordnete, was sie immer wieder antreibt und wie sie mit Anfeindungen umgeht

Sie bleiben selbst bei den heftigsten Debatten immer so unglaublich souverän und ruhig. Wie machen Sie das?

Na ja, ich gebe mir Mühe. Manchmal ist es schon so, dass ich innerlich koche. Aber wenn man wütend und unsachlich wird, verliert man. Ich halte es sowieso in der gesamten Debattenkultur in Deutschland für ein Problem, dass die Diskussionen zunehmend moralisiert und rein emotional geführt werden, statt sachliche Argumente auszutauschen. Daher versuche ich, wenigstens mich selbst einigermaßen im Griff zu haben.

Hatten Sie sich immer schon so gut unter Kontrolle?

Bei öffentlichen Auftritten habe ich es immer versucht. Es gelingt einem nur nicht immer. Intern bin ich natürlich schon das ein oder andere Mal ausgerastet. 

Woher nehmen Sie die Kraft, immer wieder zu versuchen, die Leute zu überzeugen?

Ich hatte auch schon Phasen, in denen ich müde war. Vor gut drei Jahren hatte ich einen Burnout, habe mich deswegen als Fraktionsvorsitzende zurückgezogen. Das sind Situationen, wo man sich fragt, ob das alles etwas bringt … Aber letztendlich bin ich ja in die Politik gegangen, um etwas zu verändern. Gerade jetzt wäre das so wichtig. Wenn ich mir die Politik der Ampel ansehe, die ist doch verheerend. Sie richtet so viel Schaden an, zerstört unsere Wirtschaft, macht die Menschen arm, dass ich immer wieder denke, dagegen muss man doch etwas tun. Das Schlimme ist eigentlich eher das Gefühl, dass ich zu wenig tun kann. Klar, ich kann reden, YouTube-Videos machen, öffentlich auftreten, aber ich kann aktuell in der Politik zu wenig beeinflussen.

Ich wünsche mir, dass ich Menschen motivieren kann, auf die Straße zu gehen, um Druck zu erzeugen, damit das nicht so weitergeht.

Ich glaube, wir werden unser Land sonst in zwei Jahren nicht mehr wiedererkennen.

Sie machen sich durch Ihre Meinung sehr unbeliebt, erhalten Anfeindungen. Werden Sie auch bedroht?

Ich bekomme sehr viele nette Mails von Leuten, die gut finden, was ich mache. Das freut mich natürlich. Ich lasse mir die auch alle weiterleiten. Aber ich bekomme natürlich auch Hassmails, Beschimpfungen, bis dahin, dass mir der Tod gewünscht wird. 

Haben Sie dann noch ein gutes Gefühl, wenn sie privat alleine unterwegs sind?

Tagsüber, wenn ich hier in Berlin im Zentrum unterwegs bin, ist das kein Problem. Oft sprechen mich die Leute freundlich an und wollen ein Selfie mit mir machen. Aber ich würde nicht mehr abends in einer wenig besuchten Gegend unterwegs sein. Und ich fahre auch nicht mehr allein S-Bahn, was ich früher immer gern gemacht habe.

Sie pendeln zwischen dem Saarland und Berlin, wo Sie eine Abgeordnetenwohnung haben. Bedauern Sie manchmal, die Abende dann nicht mit Ihrem Mann verbringen zu können?

Ja, ich bedaure das immer. Es ist schade, dass das Saarland so weit entfernt ist, dass man beim besten Willen nicht zwischendurch zurückfahren kann.

Wie sehr ist Politik bei Ihnen zu Hause Thema?

Wir diskutieren aktuell auch darüber, ob die Steinpilze in diesem Jahr noch einmal stärker kommen. Die sind im Saarland bisher ziemlich rar, wahrscheinlich, weil der Sommer hier so extrem trocken war. Wir haben zum Glück auch viele andere Themen und Dinge, die uns wichtig sind. Aber klar reden wir auch über Politik. Wir sind da auch nicht immer einer Meinung. Aber wir haben die Abmachung, dass jeder dem anderen ehrlich seine Meinung sagt, auch kritisiert.

Haben Sie sich wegen politischer Diskussionen auch schon mal richtig gestritten?

Nein, eigentlich nicht. Am Ende sind wir ja doch nicht so weit auseinander. Es sind eher Nuancen, bei denen wir unterschiedliche Ansichten haben. Das ist nichts, wo man sich verbissen streiten muss.

In Ihrem Beruf haben Sie eine führende Position. Wer macht bei Ihnen zu Hause eher die Ansagen?

Es gibt bei uns nicht „den“ Bestimmer. Mein Mann kommt mir oft entgegen, das muss ich zugeben. Aber wenn er etwas wirklich nicht will, dann sagt er es auch.         

Wollten Sie immer in die Politik?

Ich wollte früher Wissenschaftlerin werden, Ökonomin oder Philosophin. Nachdenken, Bücher lesen, am Computer sitzen, schreiben. Das liegt mir sehr. Das ist etwas anderes, als von Sitzung zu Sitzung zu hasten, von einem Termin zum nächsten zu rennen. Nachdem ich mich als Fraktionsvorsitzende zurückgezogen habe, habe ich auch wieder mehr Balance in mein Leben gebracht, indem ich mehr lese und schreibe. Das ist mir wichtig. Als Jugendliche habe ich mir beruflich wirklich alles vorstellen können, aber nicht, Politikerin zu werden. Ich war ja eher Einzelgängerin, fast menschenscheu. Aber ich hatte schon immer das Bedürfnis, dass ich etwas verändern will. Irgendwann hat es mir nicht mehr gereicht, immer nur aufzuschreiben, was anders sein soll, statt dazu beizutragen, dass sich etwas verändert. Natürlich kann ich mir auch heute ein Leben als Publizistin vorstellen. Persönlich wäre ich damit glücklich.

Aber lieber möchte ich das machen, was viele Menschen von mir erwarten: die Politik und die Gesellschaft zum Guten verändern.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Reden vor?

Bei Bundestagsreden versuche ich, sie immer einmal durchzusprechen, um die Länge abschätzen zu können. Je schwächer die Linke wurde, desto kürzer wurden die Redezeiten. Und je weniger Zeit man hat, desto mehr muss man sich vorbereiten. Ich schreibe meine Reden immer selbst, ich könnte gar keine fremde Rede vortragen. Wenn ich auf Veranstaltungen spreche, rede ich meistens frei. Vor Reden im Bundestag bin ich auch jedes Mal etwas angespannt. Ein blöder Versprecher und das würde überall laufen, ich würde lächerlich gemacht.

Sie haben es in der Politik weit geschafft. Haben Sie ein persönliches Erfolgsgeheimnis?

Erfolg ist immer relativ. Ich wünsche mir, dass ich wirklich einmal die Möglichkeit haben werde, aktiv Politik zu gestalten. Das ist natürlich viel wertvoller als nur zu kritisieren. Ich glaube, wichtig ist, dass man klare Überzeugungen hat, klare Positionen und die auch beibehält. Auch wenn sich Stimmungen verändern. Die Leute merken, ob jemand authentisch ist oder sein Fähnchen immer nach dem Wind hängt. Wer braucht Politiker, die keine eigenen Positionen haben, sondern immer nur versuchen, sich durchzuwinden, ohne anzuecken? Sicher, wenn man klare Positionen hat, gibt es auch viele, die sie ablehnen. Deshalb gibt es neben den Menschen, die mich gut finden, auch viele, die mich gar nicht mögen. Aber das ist dann eben so.

Im Bundestag geht es oft hoch her. Und Sie haben dort auch nicht gerade viele Fans. Grüßt man sich eigentlich noch im Fahrstuhl?

Es gibt Politiker anderer Parteien, die ich schätze und respektiere, und da grüßt man sich selbstverständlich. Bei anderen sieht man schon am Blick, dass sie einen nicht mögen.           

Mit wem beraten Sie sich?

Ich habe einige Kollegen, denen ich vertraue und deren Meinung mir sehr wichtig ist, die Fähigkeiten haben, die mir fehlen und die zum Beispiel auch besser netzwerken.

Sind Sie nicht so gut im Netzwerken? Warum nicht?

Ich war immer eher ein Einzelgänger. Mehrheiten zu organisieren, viel Zeit aufzuwenden, um mit allen zu reden, das ist nicht mein größtes Talent.

Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?

Ich mache relativ viel Sport, fahre Fahrrad, gern über 100 Kilometer am Tag. Im Winter gehe ich auf den Crosstrainer. Das ist ein Ausgleich, den ich wirklich sehr brauche. Und ich koche gern. Das war nicht immer so. Erst seit ich mit meinem Mann zusammen bin, bin ich da besser geworden. Früher habe ich mich oft dürftig ernährt, auch weil ich keine Zeit hatte. Aber inzwischen kann ich ganz gut kochen. Habe mir Rezepte im Internet rausgesucht und einfach ausprobiert. Wenn es beim ersten Mal noch nicht gelingt, beim zweiten Mal schmeckt es dann bestimmt … Mein Mann kocht allerdings richtig gut. Er macht die schwierigen Sachen, Fleisch, Fisch, ich eher vegetarische Sachen.

Wie wohnen Sie?

Auf einem Dorf, das auch landwirtschaftlich geprägt ist. Wenn man spazieren gehen oder mit dem Rad fahren will, muss man einfach nur aus dem Haus und man ist direkt in der Natur mit Wiesen und Feldern. Ich liebe das. Ich habe lange in Berlin gelebt, klar hat das auch kulturell sehr viele interessante Seiten, ist aufregender. Aber inzwischen möchte ich nicht mehr dauerhaft in einer Großstadt leben. Ich finde es auf dem Land viel schöner. Es ist ruhig. Man merkt dann auch erst, wie laut es in der Stadt ist. Wir hören nachts allenfalls den Kauz.

Hat der Burnout Sie verändert? Achten Sie jetzt mehr auf sich?

Zurzeit gerade nicht. Aber zumindest nehme ich Warnsignale sensibler wahr. Wenn die Nächte zu kurz und die Tage zu lang werden, und das über eine längere Zeit, dann trete ich mittlerweile bewusster auf die Bremse.

Denn wenn man einmal einen Burnout durchhat, dann weiß man, dass man das nie wieder haben will.

Mein Mann achtet da auch gut auf mich. Wenn ich zu gestresst bin, sagt er „Trete mal ein bisschen kürzer.“            

Sind Sie privat ein komplett anderer Mensch?

Sicher nicht. Aber wo man mit Menschen zu tun hat, die einem nicht wohlgesonnen sind und nur auf einen Fehler lauern, verhält man sich natürlich anders als im privaten Bereich. Wenn ich mit Freunden essen gehe, dann bin ich natürlich entspannter, lockerer, fröhlicher.

Wie schwer war oder ist es, sich als Frau in der Politik durchzusetzen?

Früher war es so, dass Männer diese Attitude hatten: „Was will denn diese Maus mit mir über Wirtschaft reden. Sie soll sich lieber mit Familienpolitik beschäftigen.“ Das hat sich aber inzwischen stark verändert. Heute entschuldigen sich Männer, wenn sie einem ein Kompliment machen. Klar, es gibt auch heute noch Machos. Aber in der Politik begegnet man ihnen nur noch selten. 

Hat das Thema Gleichberechtigung von Frauen in Deutschland Ihrer Meinung nach noch großen Diskussionsbedarf?   

Ja, das ist immer noch ein großes Thema, aber nicht so sehr in der Politik oder in privilegierten Positionen, sondern viel mehr in der Breite der Gesellschaft. Es arbeiten immer noch viel mehr Frauen in den Niedriglohnjobs. Frauen haben es auch generell immer noch schwerer, weil sie hauptsächlich für die Familienarbeit verantwortlich sind. Sicher nicht in jeder Familie, aber doch im Trend. Wenn Kinder da sind, ist es meist immer noch die Frau, die dann beruflich zurücksteckt und einen Teilzeitjob macht. Ich habe leider keine Kinder. Einerseits bedaure ich das. Andererseits wäre vieles natürlich auch schwieriger gewesen, wenn ich zusätzlich zur Politik auch noch eine gute Mutter hätte sein wollen.

Hätten Sie im Nachhinein da etwas anders gemacht?

Es gab viele Gründe, auch persönliche. Irgendwann war es dann leider zu spät.

Gibt es im Bundestag eigentlich eine Kleiderordnung?

Es gibt die Vorschrift, dass man der Würde des Hauses angemessen gekleidet sein soll. Das finde ich auch in Ordnung. Ich finde nicht, dass man sich mit gammeliger Jeans und abgewetztem Hemd in den Bundestag setzen muss, wie es manche machen. Es ist nun mal das Parlament, das „Hohe Haus“, wie es sich selbst nennt, und dem sollte man durch eine angemessene Kleidung Rechnung tragen.             

Sie sind immer auffallend elegant und geschmackvoll gekleidet. Woher haben Sie Ihre Outfits?

Es gibt eine Boutique in Saarbrücken, deren nette Inhaberin mir immer ein Foto schickt, wenn sie glaubt, etwas Passendes für mich zu haben. Das ist großartig. Zum Glück habe ich auch eine Standardgröße, sodass mir die meisten Sachen sofort passen. Ich bin niemand, der Freude daran hat, durch die Geschäfte zu pilgern. Im Gegenteil, das nervt mich. Aber natürlich will ich gute Kleidung haben. Das ist für mich auch eine Frage der Selbstachtung.

Apropos Mode, Wolfgang Joop ist ein guter Freund von Ihnen …

Ich schätze ihn sehr. Kennengelernt haben wir uns bei einer Talkshow. Da hatte ich noch Sorge, weil er doch aus einer ganz anderen Welt kommt. Aber wir haben in einer Reihe von Punkten Gemeinsamkeiten gefunden. Ich finde es wirklich interessant, mich mit ihm zu unterhalten.            

Wie verbringen Sie eigentlich Ihre Urlaube?

Wir fahren meist nach Frankreich. Das liegt auch daran, dass wir da die Räder mitnehmen können. Die packen wir einfach hinten ans Auto. Das ginge nicht, wenn wir irgendwohin fliegen würden. Außerdem finde ich Frankreich wunderschön. Und wir beide lieben die französische Kultur und die Küche. Ich fühle mich in Europa wohler als zum Beispiel in Südostasien, wo es sicherlich interessant ist, aber eben auch viel fremder.

©Bilder: Daniela Grundwald