HELEN HAIN


Um erfolgreich zu arbeiten, musste ich lernen, nicht perfekt zu sein

Stellen Sie sich vor, Sie sind Mitte 20, führen eine glückliche Ehe. Haben gerade eine gesunde Tochter zur Welt gebracht. Sie sind voller Optimismus und blicken mit Zuversicht in die Zukunft. Dann der Schock: Ihr Ehemann stirbt. Er hinterlässt Ihnen ein Unternehmen mit laufenden Krediten von mehreren Millionen D-Mark. Was würden Sie tun? Helen Hain tat das, was viele wohl nicht gewagt hätten. Anstatt in Privatinsolvenz zu gehen, übernimmt sie die Geschäftsführung, und das klingt jetzt wie ein Schnelldurchlauf im Hollywood-Film: Sie führt die Firma aus den Miesen und verkauft sie erfolgreich. Zeitsprung: 30 Jahre und viele Lernkurven später. Die Zukunft ist jetzt. Helen Hain ist weit mehr als die Geschichte ihrer Vergangenheit. Sie ist eine gestandene Unternehmerin, Vertriebsexpertin und leidenschaftliche Leader­ship-Speakerin. Und dies ist ihre Geschichte.

Als du gerade 24 Jahre alt warst, stirbt dein damaliger Mann. Wie bist du damit umgegangen?

Gar nicht. Diesen Schicksalsschlag habe ich erst sieben Jahre später verarbeitet. Zu dem Zeitpunkt habe ich sämtliche Gefühle abgeblockt. Ich musste funktionieren. Du kannst nicht deine Trauer ausleben und zehn Millionen D-Mark akquirieren.

Die zehn Millionen D-Mark brauchtest du, um sein Projekt zu beenden?

So ist es. Er hatte Golfplätze gebaut und die Umsetzung einer Anlage stand gerade in den Startlöchern. Zu Beginn der 90er- Jahre gab es noch kein Google. Die Telefonnummern der Banken für die notwendigen Kredite habe ich aus dem Telefonbuch rausgesucht.

Wie hast du das Leben mit deinen Kindern organisiert?

Sie hatten die genaue Vorgabe: Wenn der Kindergarten schließt, dann bleibst du so lange davor hocken, bis ich komme. Und ich werde kommen! Das war manchmal gar nicht leicht für mich. Ich musste akzeptieren, dass Extremsituationen klare Regeln erfordern. Und großes Vertrauen. Meine Kinder habe ich zu maximaler Selbstständigkeit erzogen. Heute sind sie erwachsen und wir sind stolz aufeinander.

Du hast es geschafft, das komplette Geld zu generieren. Was war im Nachhinein das Geheimnis dieses Erfolgs?

Um erfolgreich zu arbeiten, musste ich lernen, nicht perfekt zu sein. Auch beruflich musste ich wachsen. Du solltest für das brennen, was du tust, dann wirst du auch erfolgreich sein.

Viele Organisationen wandeln sich gerade. Welchen Tipp kannst du Unternehmer:innen diesbezüglich geben?

Wenn die Welt sich verändert, verändere dich mit. Wenn du merkst, dass der bisherige Weg nicht mehr funktioniert, schlage einen neuen ein. Halte nicht zu lange an überholten Traditionen fest. Im Leben sind es stets die Rahmenbedingungen, auf die es zu reagieren gilt. Die Frage ist, ob wir schnell genug sind, uns zu verändern, bevor wir verändert werden.

Wie ging es dann beruflich weiter?

Nach dem Verkauf des Golfplatzes ließ ich mich bei einem Unternehmen für Telefonmarketing festanstellen. Dies musste plötzlich Insolvenz anmelden. Ich übernahm die Firma.

Was muss man für ein Mensch sein, um nun den „nächsten Brand“ zu löschen?

Eine Nummer beim Arbeitsamt zu ziehen, kam für mich nicht infrage. Ich habe es so gesehen: Da bietet mir das Leben zum zweiten Mal eine riesige Chance. Ich musste wieder Investoren suchen und dachte mir: „Die Summe ist ja gar nicht mehr so hoch wie damals.“

Du hast mittlerweile eine GmbH aufgebaut. Aus sieben Mitarbeitenden wurden 65. Was kannst du anderen zur erfolgreichen Unternehmensführung auf den Weg geben?

Bei der MarketDialog ist es das Zusammenspiel von jungen Menschen, die Impulsgeber sind und frische Ideen reinbringen, bis hin zu gestandenen Rentnern, die ihre wertvollen Erfahrungen teilen. Dieser Mix brachte uns durch die Corona-Krise. Wir ergänzten Vertriebs-Angebote, die wir seit 30 Jahren im Portfolio hatten, um innovative Dienstleistungen.

Es wirkt, als seist du dein Leben lang im Krisen-Modus gewesen. Doch was hast du aus deinen Erfolgen gelernt?

Aus meinen Erfolgen habe ich wenig gelernt. Mit Mitte 40 hatte ich eine große persönliche Krise. Erst dann fing ich an, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Jahrelang war ich gesteuert durch äußere Umstände. Ein Coach fragte mich eines Tages: „Was möchte denn Helen eigentlich?“ Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um diese Frage zu beantworten. Das war für meinen weiteren erfolgreichen Weg sehr wichtig.

Und wer ist Helen?

Helen ist ein kleines Mädchen, das in Tchechien geboren wurde. Sie wuchs mit den Glaubenssätzen auf: „Du kannst nichts und du bist nichts.“

Mein großer Wunsch war es, sichtbar zu werden. Das habe ich geschafft.

Heute möchte ich anderen mein Wissen weitergeben.

Du setzt dich mit dir selbst auseinander. Und das Erste, was du tust, ist es, andere Menschen zu unterstützen. Interessant.

Genau so ist es. (lacht) Ich machte eine Ausbildung zur Speakerin. Mit meinen Keynotes möchte ich anderen Mut machen, sich selbst zu verwirklichen. Mir ist es wichtig, Führungskräfte zu stärken. Das erfüllt wiederum mich selbst.

Was ist deine aktuelle Herausforderung?

Zur Ruhe zu kommen. Nicht im Krisen-Modus zu verharren. Mir Zeit für Ausgleich, Meditation, Spaziergänge, Familie und Joggen zu nehmen.