HANS ZIMMER


Man sollte nie aufhören, verspielt zu sein

Er ist der erfolgreichste Filmkomponist der Welt und einer der bekanntesten Deutschen in Hollywood: Hans Zimmer (64). Der gebürtige Frankfurter lebt seit mehr als drei Jahrzehnten in Los Angeles, schrieb die Musik zu Filmen wie „König der Löwen, „Pearl Harbor, „Fluch der Karibik“ oder „James Bond 007 – Keine  Zeit zu sterben“ und bekam in diesem Jahr seinen zweiten Oscar für die Filmmusik von „Dune. Eines seiner Erfolgsgeheim­nisse ist zuzuhören. Er hat viel von anderen Komponisten wie z. B. Ennio Morricone gelernt. Im Interview verrät Hans Zimmer außerdem, wie schwer es in Hollywood wirklich ist, was ihn antreibt und was Deutschland heute noch für ihn bedeutet.

Sie waren gerade auf Europa-Tournee, die auch durch Deutschland führte. Was bedeutet es Ihnen, wieder in Deutschland zu sein? Haben Sie noch eine Bindung?

Wie Sie merken, ist mein Deutsch nicht mehr so gut. Ich spreche Kinderdeutsch. Ich habe ja Deutschland verlassen, als ich 12 war. Naja, eigentlich war es andersherum. Deutschland hat mich verlassen. Ich hatte immer schon Probleme mit Autorität.

Und die deutsche Schule und ich … wir haben uns nicht so gut verstanden. Ich bin von acht Schulen geflogen und schließlich auf einer neunten in England gelandet. Dort lief es besser. Danach gab es die Frage: Bundeswehr oder Rock ’n‘ Roll-Band in England. Da habe ich mich dann für Letzteres entschieden … Aber wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich immer sehr wohl. Das spüren alle Menschen um mich herum dann ganz deutlich.

Deutschland ist noch immer in meinem Herzen, meine Heimat.

Und ich fühle mich nirgends so sicher wie hier.

In Hollywood haben Sie eine Riesen­karriere gemacht, haben gerade Ihren zweiten Oscar bekommen …

Ich bin froh, dass Sie jetzt nicht „schooon wieder“ sagen. Das darf man nämlich nicht so dahinsagen, so hinschleudern, als würde ich den jedes Jahr bekommen. Es ist für mich immer noch etwas ganz Besonderes. Allerdings geht es im Moment bei der Academy, die die Oscars verleiht, drunter und drüber, jeder streitet sich. Wir Komponisten zum Beispiel müssen jetzt am Kindertisch sitzen. Genauso wie die Cutter. Irgendwie hat die Academy vergessen, dass wir alle Kollegen sind und alle den gleichen Wert haben. Ein Film kann nur entstehen, wenn wir alle zusammenarbeiten.

Die Oscar-Veranstaltung stellen sich alle immer so toll vor, aber es zieht sich sehr lange hin und am Ende kippt die Stimmung.

Man muss mittlerweile schon um 16 Uhr da sein, das sind dann viele Stunden. Und dann ist da ein riesiger Raum voller Leute, die alle die Hoffnung haben, zu gewinnen. Und am Ende des Abends sind in diesem Raum vier Fünftel Verlierer und die Stimmung ist nur noch gezwungen fröhlich. Und es ist schon lustig, wenn man während der Verleihung zwischendurch mal an die Bar gehen will und dann immer wieder jemand kommt, der einem sagt, man solle zu seinem Stuhl zurückgehen. Ich mag die Bar lieber …

Welche Leidenschaften haben Sie noch neben der Musik?

Es gibt nichts anderes. Die Musik ist meine große Leidenschaft.

Wie wirkt sich das auf Ihr Familienleben aus?

Ich beschäftige mich ja monatelang immer ganz intensiv mit einem Film und einer bestimmten Thematik, tauche da so sehr ein, dass ich mich dann auch je nach Film anscheinend verändere. Und das merken wohl auch die Menschen um mich herum. Als ich zum Beispiel gerade meine Arbeit zu „Gladiator“ beendet hatte und wir bei der Filmvorführung saßen, waren alle ganz begeistert. Nur meine (heutige Ex-)Frau haute gegen meinen Arm. Ich fragte sie, was los sei, und sie sagte: „Jetzt weiß ich, warum du in den letzten Monaten so unausstehlich warst!“

Was machen Sie, wenn Sie mal nicht arbeiten?

Freizeit? Was ist das?! Einmal im Jahr fliege ich nach Capri. Und ansonsten … ich habe viele Kinder (Zoe, 34, aus erster Ehe, Jake, 24, Annabel und Max, 19, aus zweiter Ehe). Da habe ich immer gut zu tun. Und ich lese gern oder schaue Netflix. Meine Lieblingsserie ist „Borgen“. Eine ganz normale, liberale Frau hat darin mit den Grausamkeiten der Welt zu tun und muss Antworten finden. Ich finde diese Serie unglaublich gut.

Ich bin übrigens der Meinung, dass wir, wenn nur Frauen und Mütter in der Regierung wären, eine bessere Welt hätten …

Haben Sie eigentlich noch Lampenfieber?

Oh ja, es hat mir immer schon eine Riesenangst gemacht, auf der Bühne zu stehen. Aber meine Freunde haben immer gesagt: „Irgendwann musst Du das mal wagen, du kannst dich nicht immer hinter der Leinwand verstecken, du musst den Leuten auch mal in die Augen sehen.“ Aber diese Angst ist auch ganz aufregend. Ich gehe dann auf die Bühne und denke mir: Entweder geht es gut oder nicht. Manchmal müssen die Leute dann eben Dinge auf Dich werfen. Das Leben muss ein Abenteuer bleiben. Mit Liebe, Verrücktsein, dumme Dinge tun, spielerisch sein. Ich habe nie aufgehört, zu spielen, und werde das auch immer tun.

Die Hälfte Ihrer Tour-Band kommt aus Odessa. Konnten alle bei der Tour dabei sein?

Leider nicht alle, aber wir haben es immerhin geschafft, zehn Leute aus der Ukraine herauszubekommen. Und ich bin so froh darüber. Wir haben Flüchtlinge aus aller Welt bei uns in der Band, zum Beispiel auch politische Flüchtlinge aus Südafrika und Venezuela. Auf der Bühne sind wir alle vereint. Die Musik verbindet.

Kunst ist der beste Weg, Humanität zu beschreiben.

Es ist auch wichtig, dass die Musiker Kontakt zum Publikum haben, dass man sich in die Augen sehen kann. Die Künstler auf der Bühne erinnern uns immer wieder daran, dass die Kunst Frieden bringt. Ein Orchester zu haben, ist ein sehr teures Hobby, aber es ist so wichtig. Ich arbeite in Hollywood. Und Hollywood ist brutal, knallhart und rücksichtslos. Es heißt ja auch nicht „Showfriends“, sondern „Showbusiness“. Das sagt schon alles. Aber die Einnahmen aus Holly­wood ermöglichen es, das Orchester aufrechtzuerhalten.

Wenn Ihr Leben verfilmt werden sollte, wie wäre der Sound dazu und wer der Komponist?

Ganz eindeutig wäre das Ennio Morricone gewesen, der mein liebster Filmkomponist war, aber leider ja nicht mehr lebt. Auf alle Fälle wäre es ein Kurzfilm. Ich fange den Tag nämlich immer erst am Nachmittag an. Vorher ist bei mir nix los. Den Sound dazu müsste ich erfinden. Ich mach das ja ganz gerne …

©Bilder: Frank Embacher